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dachte nach, während er den leckeren Kuchen genoss. Der Zucker knirschte zwar zwischen den Zähnen, aber das störte ihn keineswegs. „Na ja, Jannik und Moritz haben ganz schön gestresst.“ Frau Wieler nickte, während sie in der Teetasse rührte. „Ging‘s um Mädchen?“

      Paul verschluckte sich fast und schüttelte hustend seinen roten Kopf.

      „Nein, natürlich nicht“, meinte die alte Dame amüsiert und ihre Augen funkelten schelmisch. „Isabel, meine Enkelin, ist in deinem Alter. Vielleicht lernst du sie mal kennen. Wer weiß? Sie ist sehr hübsch, aber leider eine verwöhnte Zicke. Du hast etwas Besseres verdient!“

      Paul konzentrierte sich schweigend auf das Stück Kuchen, das viel zu schnell in seinem Mund verschwand.

       Wenn ich ganz kleine Bissen nehme, hält es doppelt so lang …

      Veronika Wieler beobachtete ihn. „Er schmeckt dir nicht. Du kannst es ruhig zugeben.“

      „Doch, echt. Er ist voll lecker. Ich hab schon ewig keinen so guten Kuchen mehr gegessen.“

      „Na, dann iss tüchtig, später bekommst du noch ein Stück.“

      Nun stopfte Paul sich den Mund voll und kaute mit dicken Backen. Frau Wieler nickte zufrieden. Dann erzählte sie von früher, von ihrem Mann, seinem Geschäft und seinem Hobby, dem Gitarre spielen. Die alte Dame lächelte entrückt vor sich hin. Dann richtete sie ihren glasigen Blick auf den Jungen. „Ich hoffe ich langweile dich nicht.“

      Paul schüttelte energisch den Kopf. „Nein, nein, erzählen Sie ruhig weiter.“ Er hoffte auf ein weiteres Stück Kuchen.

      „Dann wurde er krank und musste nach und nach seine Leute wieder entlassen. Das tat ihm sehr weh. Er hätte sich sicher gefreut, dich kennenzulernen. Du hättest ihm mit deinem Gitarrenspiel eine große Freude bereiten können.“

      Paul nickte. Frau Wieler lächelte herzlich. „So, genug geplaudert, jetzt zeig mal, was du kannst!“

      Paul wischte sich die Krümel vom Mund, stand auf, holte die Gitarre und stimmte sie. Frau Wieler beobachtete jede Bewegung des schlanken Jungens.

      Schließlich fing er an, leise zu spielen. Die alte Dame saß lächelnd mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel und schaukelte sanft hin und her. Paul blickte sie aufmerksam an. Eine wohlige Wärme durchflutete ihn. Schon jetzt hatte er sie in sein einsames Herz geschlossen.

      Nach einer Weile hielt er inne und Frau Wieler schlug die Augen auf. „Was ist? Bist du schon fertig?“

      „Ich soll doch die Lieder aus dem Heft üben, oder?“

      „Stimmt, aber deine sind auch sehr schön.“

      Frau Wieler blätterte in dem Heft und entschied sich für „Hoch auf dem gelben Wagen“. Paul sah sich die Noten und Griffe an und begann zu spielen. Schon bald klang es ganz passabel und die alte Dame konnte mitsingen. Immer und immer wieder spielte Paul die Melodie, bis sie perfekt war und sie lachend aufhörten.

      „Das war wunderschön“, freute sich Frau Wieler mit leuchtend roten Wangen.

      Paul sah lächelnd aus dem Fenster und erschrak, da es schon dämmerte.

      „Wie spät ist es denn?“

      „Halb fünf.“

      „Wie lang kann ich bleiben?“ Paul hatte keine Ahnung, wann alte Leute ins Bett gingen.

      „Solange du möchtest, oder meinst du ich habe heute noch eine Verabredung?“ Sie zwinkerte.

      „Ne … Ich meinte ja nur … Vielleicht sind Sie müde.“

      Die Hausherrin lachte amüsiert. „Von was sollte ich denn müde sein? Aber du bist sehr aufmerksam.“

      Paul zog geschmeichelt die Mundwinkel nach oben. In diesem Augenblick dachte er eine Sekunde lang an Elisa. Sofort reagierte sein Herz laut pochend. Hastig packte er die Gitarre in die Hülle.

      „Nein, bitte nicht. Spiel mir noch ein paar von deinen Melodien!“, bettelte die Frau. Der Junge ließ sich überreden und nahm sein Instrument wieder zur Hand. Glücklich schenkte sie ihm Apfelsaft nach.

      „Trink, Junge! Möchtest du noch was essen?

      Ich gebe dir nachher ein paar Stücke Kuchen mit.“

      Paul spielte noch eine halbe Stunde weiter, dann fiel ihm siedeheiß seine Bioarbeit ein. „Shit, ich muss noch Bio lernen. Kann ich noch schnell aufs Klo?“

      „Ja, zur Tür raus, dann die Stufen hoch, rechts hinten.“

      Paul stellte die Gitarre zur Seite und stand auf.

      Im Flur blickte er sich neugierig um. Alles schien mal sehr teuer gewesen zu sein. Die Gemälde, die Teppiche, die Vasen und überall standen Orchideen. Offensichtlich war seine neue Bekanntschaft eine Blumenliebhaberin.

      Paul erreichte die Toilette und betrat den kleinen Raum. Dieser war hell und freundlich und wirkte gegen den Rest des Hauses richtig modern.

      Kritisch betrachtete er sein Spiegelbild und wünschte sich, sein kindliches Aussehen würde endlich weichen, sogar über einen Pickel würde er sich freuen. Moritz hatte schon einen leichten Flaum über der Oberlippe und Janniks Stirn war rot getupft vor lauter Pickel. Paul verstrubbelte seine Haare, da er das cooler fand, und senkte seinen Blick auf die Ablage. Seine blauen Augen weiteten sich. Mehrere goldene Ringe lagen darauf.

      Fasziniert starrte er auf den wertvollen Schmuck. Der Gedanke, ob es wohl auffallen würde, wenn einer der Ringe fehlen würde, schoss ihm augenblicklich durch den Kopf. Zögernd nahm er einen und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Der rote Stein funkelte ihn so feurig an, dass Paul der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihn an den Finger zu stecken. Plötzlich trat Elisa vor sein inneres Auge, die ihm lächelnd ihre Hand entgegenstreckte. Eine heiße Welle durchströmte ihn.

      Wie krass wäre es, wenn ich ihr so einen Ring schenken könnte?, sinnierte Paul mit geschlossenen Augen.

      „O Gott, bin ich durchgeknallt!“, murmelte er und wollte den Ring wieder abstreifen, aber der steckte fest!

      „Mist, warum geht er denn nicht ab?“ Paul zog und zerrte. Rasch seifte er seine Finger ein, aber das Schmuckstück ließ sich nicht über sein Gelenk streifen. Panik ergriff ihn. Was soll ich jetzt nur machen?

      Mit einem dicken Kloß im Magen sank er auf die Klobrille.

       Bestimmt denkt sie, ich wollte den Ring klauen, aber Mutti hat immer gesagt: Angriff ist die beste Verteidigung, also …

      Sein Herz pochte laut, als er zu Frau Wieler eilte.

      Die alte Dame saß mit geschlossenen Augen im Sessel. Ihr Kopf war zur Seite gekippt und die Brille halb von der Nase gerutscht. Durch ihre leicht geöffneten Lippen drang ein zartes Schnarchen hervor. Paul atmete erleichtert aus und packte leise seine Sachen zusammen. Vielleicht merkt sie es ja gar nicht, hoffte er und flüchtete auf Zehenspitzen hinaus.

      Aber je weiter er sich entfernte, desto mehr brannte der Ring an seinem Finger.

      Was kann ich nur Dad sagen, wo der Ring herkommt? Der glaubt mir sicher kein Wort. … Er darf ihn einfach nicht sehen, entschied Paul und überlegte, was er um den Ring wickeln konnte.

      Paul schlich mit der Hand in der Hosentasche in die Wohnung und war gottfroh, dass sein Vater schon vorm Fernseher saß.

      „Hi Dad“, rief er ins Wohnzimmer und steckte kurz seinen Kopf hinein.

      „Hallo Paul. Alles klar?“, fragte Herr Eggmann, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.

      Grad heute interessiert es ihn, wie es mir geht, ärgerte sich Paul. „Ja. Muss aber noch Bio lernen.“

      Reinhard Eggmann nickte zufrieden und nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche.

      Paul schloss die Kinderzimmertür und ließ sich auf das Bett fallen. „Was

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