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aufsteh'n; wir dürfen keine Zeit verlieren ...“) die zunehmend krankmachende Hast in der Gesellschaft thematisiert und die Herzen der Deutschen erobert hatte: Vogel rackerte atemlos weiter. Mit mehr Ruhe und Übersicht hätte er gewiss Bedeutenderes vollbringen können. (Wer Gelegenheit hat, das Wohnhaus Konrad Adenauers in Röhndorf zu besichtigen, sollte sich auch den Terminkalender des ersten Kanzlers der Bundesrepublik anschauen. Er wird verblüfft sein, mit wie wenig Zeitdruck und Terminen sich ein Land regieren lässt, wenn man in der Lage ist, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und die richtigen Prioritäten zu setzen.)

      Jürgen Schmude hingegen überraschte uns anschließend als ein menschlicher Minister und Freidenker ganz anderer Machart. Er war ein Freund, Vertrauter und Kollege Gustav Heinemanns gewesen und strahlte eine ähnlich selbstverständliche Ruhe und Verlässlichkeit aus. Freitagmittag entschwand er zu Frau und Kind und Wahlkreis und kam erst dienstags wieder. Während Vogel nervös nachfragte, warum sich keiner bei ihm meldete, wenn wir am Wochenende mal einige Stunden Funkstille einkehren ließen, hätten wir bei Schmude Ärger bekommen, wenn wir ihn am Wochenende überhaupt einmal gestört hätten, ohne mitteilen zu können oder zu müssen, dass der Kanzler gestorben oder der 3. Weltkrieg ausgebrochen wäre. Er weigerte sich sogar, uns seine private Telefonnummer zu geben. Letztlich war Schmudes kurze Bilanz als Minister aber gewiss nicht schlechter als jene des späteren SPD-Vorsitzenden und gescheiterten Kanzlerkandidaten.

      Noch im gleichen Jahr wechselte ich als Pressesprecher zur FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag und ließ mich dort von der allgemeinen Presse-Hektik anstecken, was insofern nicht so schwer war, als sehr rasches allerdings oft auch etwas schlampiges Arbeiten meinem Naturell entspricht. (Leser werden daher in diesem Buch leider auch wieder relativ viele Schreibfehler entdecken, für die schon hier um Entschuldigung gebeten wird.)

      Auch wenn ich die Kernerkenntnis politischen Wirkens, dass weniger Quantität oft wesentlich mehr Qualität verspricht, noch nicht verinnerlicht hatte, so hatte ich aber zumindest in der kurzen Zeit, die ich nun schon in Legislative, Exekutive, Judikative, als Pressesprecher und in der Wirtschaft verbracht hatte, erkennen können, wo im demokratischen System die Macht angesiedelt schien, bzw. wo sie zu Unrecht vermutet wird:

      Macht

      Gemeinhin vermutet man die Macht bei der Regierung. Dies jedoch ist ein Trugschluss. Das politische Geflecht ist so eng und beengend, dass von etwaigen hehren Ideen, die ein Minister zu verwirklichen bemüht ist, meist nur rudimentäre Reste übrig bleiben. Zuvor haben die Beamten im eigenen Haus, die anderen Ressorts, der Koalitionspartner, die eigenen Parteifreunde, die Verbände und Vereine und der Bundesrat so viel abgewürgt und verwässert, dass das jeweilige Vorhaben zur Unkenntlichkeit verkommt. Dass Gustav Heinemann etwas mehr Erfolg mit seinen Initiativen hatte, war schlicht dem Umstand geschuldet, dass die Große Koalition 1966/67 auf einen Reformstau besonders im Justizbereich traf, und Heinemann mit besonderem Charisma gesegnet war. Aber selbst Heinemann konnte nur einen Bruchteil seiner Vorstellungen in die Wege leiten, musste taktieren, Kompromisse schließen und viele Projekte völlig fallen lassen.

      Auch die Macht der Parlamente bzw. der Parlamentarier ist nahezu unbedeutend. Angesichts der Komplexität der Vorhaben ist der einzelne Abgeordnete jeweils auf den Sachverstand der Beamten und auf das Votum seiner sachverständigen Kollegen angewiesen, wenn er zur Abstimmung die Hand hebt. Verantworten kann er das, was er tut, nur in den allerseltensten Fällen selbst.

      Die Judikative leidet eher unter ihrem Machtpotential. Ihr wäre es viel lieber, die Gesetze wären eindeutiger, und man würde die Gerichte nicht immer wieder zwingen, für die Politik die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Richter sind von Haus aus eher faul als machthungrig. Letztlich haben sie die Regierenden auch noch nie ernsthaft in Bedrängnis gebracht. In aller Regel begnügt sich das Verfassungsgericht, den Regierenden Auslegungshilfen an die Hand zu geben. Dass wichtige Gesetze der Legislative oder Richtungsentscheidungen der Exekutive für verfassungswidrig erklärt werden ist praktisch nie vorgekommen. Dies gilt sogar für die Ostverträge der Regierung Brandt-Scheel.

      Als Advocatus Diaboli – denn politisch war ich ein glühender Befürworter der Ostverträge – erstellte ich als Student von Professor Dieter Blumenwitz 1973 ein Gutachten, auf dessen Grundlage Blumenwitz als Prozessbevollmächtigter Bayerns u.a. die Klage des Freistaates gegen den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat. Die Verträge verstießen nach meiner Überzeugung ganz klar gegen das Grundgesetz. Dass dies in meinen Augen nicht gegen die Verträge sondern gegen das Grundgesetz sprach, war allerdings ein Umstand, der die Verträge nicht eben gesetzmäßiger machten, und über den das Bundesverfassungsgericht nicht zu befinden hatte. Gleichwohl ließ das Verfassungsgericht die Verträge mit leichten Änderungen und Interpretationshinweisen passieren. Zum Glück!

      Der Einfluss der Wirtschaft wird in Deutschland gemeinhin überschätzt. Selbstverständlich nimmt sie alle Einflussmöglichkeiten wahr, vermeidet aber in aller Regel, direkten Druck auszuüben. Die Struktur der Industrie oder der Gewerkschaften war in Deutschland nie so monolithisch, dass sie das Einflussgefüge nachhaltig und offensiv hätten beeinflussen können, wenn sie denn gewollt hätte. Natürlich wurden Kriege – auch die der Deutschen – fast immer aus wirtschaftlichen Gründen geführt. Besonders die letzten Kriegsereignisse, an denen die USA beteiligt waren, lassen keinen Zweifel an der wirtschaftlichen Interessens- und Motivationslage. Die Wirtschaft in Deutschland strebt traditionsgemäß aber vorrangig danach, Partikularinteressen durchzusetzen, nicht nach generellem politischem Einfluss.

      Die Macht der Wirtschaft zeigt sich neuerdings eher passiv-destruktiv. Überbordende Wirtschaft-Macht nimmt man vor allem dann zur Kenntnis, wenn die Wirtschaft machtlos ist, wenn sie sich verspekuliert hat, wenn systemrelevante Banken und Betriebe wanken, wie wir es in den letzten Jahren immer häufiger erleben mussten.

      Letztlich haben allerdings die spekulationsgesteuerten und computergestützten Schneeballsysteme der Finanzwirtschaft, die uns immer neue Spekulationsblasen bescheren, mit der Realwirtschaft kaum mehr Berührungspunkte als ein Spielcasino mit einem bäuerlichen Familienbetrieb. (Wobei im Spielcasino wenigstens noch eigene Gelder verzockt oder auch nur „gewaschen“ werden.)

      Auch die Macht der Kirchen hat sich in Deutschland weitgehend verflüchtigt (anders z.B. in Polen, wo Johannes-Paul II noch ungeheuren Einfluss hatte). Ein letztes Aufbäumen auch in Deutschland konnte gleich nach der Wende 1990 beim katholischen Bischof in Erfurt beobachtet werden, der eine radikal klerikale Personalpolitik durchsetzte. Obgleich die Katholiken in Thüringen kaum die Fünfprozenthürde überspringen, gelang es dennoch, die drei ersten Ministerpräsidenten, das halbe Kabinett und den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt aus den Reihen der Katholischen Kirche zu rekrutieren und die ersten Beamtenstellen ausschließlich mit Katholiken zu besetzen. Doch auch diese Episode dürfte der Vergangenheit angehören.

      Bleibt als möglicher Machtfaktor die Presse. Doch die Einflussmöglichkeiten der Medien sind sehr begrenzt, wie jetzt wieder Berlusconi feststellen musste. Der in Berlin seinerzeit monopolistisch agierenden Springerpresse gelang es über Jahrzehnte nicht, die SPD in Berlin von der Regierung zu verdrängen. Und obgleich zeitweilig alle Medien vom Bayernkurier bis zur Frankfurter Rundschau in seltener Eintracht versuchten, die Ablösung Helmut Kohls als Kanzler herbei zu schreiben und zu reden, konnte sich jener länger als jeder andere im Amt behaupten.

      Gleichwohl besitzt die Presse insofern eine große Macht, als Politiker glauben, die Presse habe Macht zur maßgeblichen Beeinflussung. Daher orientieren die Politiker ihr Handeln oft an den Reaktionen oder möglichen Reaktionen der Presse. Der Pressesprecher ist allerorts der wichtigste Mann. Kaum jemand hat so ungehindert Zutritt zu den jeweiligen Vorsitzenden in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Nichts wird morgens so dringend erwartet und intensiv gelesen und diskutiert, wie der tägliche Pressespiegel. Aus dieser Fehleinschätzung entsteht dann eine Interdependenz, die man sehr wohl als eine besondere Art Machtzentrum bezeichnen kann.

      Die Erkenntnis, dass Macht sich in Pressestellen entwickelt, ließ mich letztlich eine Karriere im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anpeilen, zumal in den Pressestellen interdisziplinär alle Fäden zusammen laufen. Ich hatte als

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