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      Der Reiseleiter befindet sich dabei im Frühstücksraum. Nach Erhalt der Empfangsbestätigung sucht Hans Spruit das Gebäude der Reiseagentur auf, wo der Chefreiseleiter von Neckermann-Reisen in Süddalmatien residiert. Im Beisein des Agenturleiters informiert er minutiös über den Todesfall auf Lopud. Daraufhin wird Dr. Ivica Metkovic hinzugezogen. Der erfahrene Rechtsanwalt vertritt den Reiseveranstalter seit mehreren Jahren. Der Reiseleiter wiederholt für den Juristen seinen abenteuerlich anmutenden Bericht, welcher mit dem Einzug des Reisepasses endete.

      Dr. Metkovic rät Vodic Spruit dringend davor ab, nach Lopud zurückzukehren. Neckermann sollte nichts unternehmen, bis ihnen zuverlässige Informationen vom Oberstaatsanwalt vorliegen. Der Anwalt vereinbart dazu ein informelles Mittagessen mit seinem ehemaligen Studienkollegen. Ein Deutsch sprechender Mitarbeiter der Incoming-Agentur wird beauftragt, interimsmäßig die Aufgaben des Reiseleiters Spruit auf Lopud zu übernehmen.

      Metkovic wählt für den Gedankenaustausch unter Kollegen extra ein Fischspezialitäten-Restaurant aus, welches sich in der Nähe des nördlichen Eingangstores zur Altstadt befindet. Dessen mit Blumenkübeln dekorierte Terrasse bietet einen herrlichen Rundumblick auf die imposanten Festungsmauern. Der Kellner serviert frische Austern aus Ston, welche Posip-Weisswein begleitet. Den Hauptgang hat der Anwalt vorbestellt. Schwarzes Meeresfrüchte-Risotto, welches Dingaz-Rotwein perfekt abrundet. Während er Krevetten schält, fragt der Rechtsanwalt eher beiläufig, bis wann der Zeuge Spruit mit der Rückgabe seines Reisepasses rechnen könne. Der Klient stehe etwas unter Zeitdruck, da er für den kommenden Wintereinsatz ein Visum in der indischen Botschaft in Zagreb einholen müsse. Der Oberstaatsanwalt streicht die Serviette glatt. Nach einem Schluck des vollmundigen Rotweins teilt er dazu mit, die Rückgabe könne bereits in Kürze stattfinden. Es stehe lediglich die kriminaltechnische Auswertung sämtlicher sichergestellten Spuren im Hotelzimmer des Holländers aus. Sobald allerletzte Zweifel ausgeräumt seien, dass der Reiseleiter direkt oder indirekt mit dem absichtlich herbeigeführten Defekt eines Herzschrittmachers in Verbindung stehen könne, werde ihm unverzüglich das Reisedokument ausgehändigt. Palatschinken, hauchdünne Pfannkuchen mit einer Füllung aus Nüssen, Vanille-Eis und Schokoladen Soße, beenden das opulente Mittagsmenü. Nach Espresso und Slibowitz verabschieden sich die Juristen per Handschlag.

      Eine halbe Stunde später überreicht Dr. Metkovic dem Chefreiseleiter im Beisein von Hans Spruit eine für kroatische Einkommensverhältnisse gesalzene Rechnung. Direkt danach macht er beide Zuhörer mit seiner Einschätzung hinsichtlich des aktuellen Ermittlungsstandes vertraut. Dass Kriminaltechniker aus dem Zimmer von Hans Spruit ein Haar oder eine Hautschuppe des Verstorbenen mithilfe der DNA-Analyse identifizieren, könne als gesichert angesehen werden. Diese zeitaufwendige Arbeit ziehe sich allerdings noch ein bis zwei Tage hin. Dann ordnet der Untersuchungsrichter die sofortige Untersuchungshaft an.

      - Somit ist es wohl höchste Eisenbahn, dass Hans mit der Wahrheit herausrückt! Es handelt sich schließlich nur um einen tragischen Unfall.

      Zum Vorschlag des Chefreiseleiters schüttelt Dr. Metkovic lediglich den Kopf. Seine Bedenken wiegen schwer. Das holländische Prominentenpaar befindet sich außerhalb der Zugriffsmöglichkeit der Justizbehörde und van Breugelen verfügt über genügend Einfluss und Geld, und kann durch Anwälte ein Ermittlungsverfahren in Holland torpedieren oder zumindest massiv verschleppen lassen. Dieser Umstand ist dem Untersuchungsrichter natürlich bekannt, daher werde Herr Spruit die Rolle des Sündenbockes übernehmen, sobald ihm die Kriminaltechnik aktive Beihilfe nachgewiesen hat. Ivica Metkovic blickt auf zwei bestürzt dreinblickende Gesichter und mit bedächtiger Stimme formuliert er einen Ratschlag.

      - Ich lege für einige Augenblicke mein Mandat als Anwalt nieder und denke ausschließlich als Privatperson laut darüber nach, wie ich mich an der Stelle von Hans Spruit verhalten würde.

      Zwanzig Minuten später verlässt der Reiseleiter das Gebäude. Zwischen Unterbauch und Hosenbund eingeklemmt trägt er einen gültigen Reisepass in der Unterhose. In seinem Beruf ist es nicht unüblich, von einem Tag auf den anderen zu einem Sondereinsatz in ein anderes Land abkommandiert zu werden. Zahlreiche arabische Länder untersagen Einreisen mit einem Israelstempel, die Immigrationskontrolle in den USA reagiert geradezu hysterisch, falls man zuvor eine Iran-Rundreise begleitet hat ... und bis eine Arbeitserlaubnis für Indien eingeholt ist, vergehen immer mehrere Wochen. Sämtliche Reiseleiter von Neckermann-Reisen haben ihre Ersatzpässe im Safe der Incoming-Agentur deponiert.

      Er schlendert die im Laufe der Jahrhunderte ausgetretene Pflastersteinpromenade entlang, welche ihn quer durch die Altstadt führt. Historische Bauten auf beiden Straßenseiten bezeugen die ruhmreiche Vergangenheit einer ehemaligen Handelsstadt. In einem Straßencafé bestellt Hans türkischen Mokka und mustert sämtliche Tischnachbarn. Trifft die Vermutung seines Anwalts tatsächlich zu, dass ihn Kommissar Kovacevic beschatten lässt? Es verhält sich niemand auffällig. Und Dr. Ivica Metkovic hat noch auf eine weitere Gefahr hingewiesen. Die Polizeiposten am Busbahnhof und im Flughafen sind garantiert schon angewiesen, ein wachsames Auge darauf zu werfen, dass sich Vodic Spruit nicht ins Ausland absetzen kann. Ein Mietauto kommt nicht infrage. Mit dem speziell markierten Autokennzeichen darf man die Grenze nach Italien nicht passieren.

      Hans verlangt die Rechnung. Sein nächstes Ziel stellt die Bushaltestelle am Piletor da. Linie 6 befördert ihn zum neuen Hafen Gruc. In der Verkaufsstelle von Jadron Linija erwirbt er eine Fahrkarte nach Lopud, und wartet bis zum Eintreffen des Postschiffs auf einer Holzbank. Nach einer knappen halben Stunde legt das Passagierschiff an. Eine Holzplanke mit Metallgeländer wird auf die Kaimauer geschoben. Etwa achtzig Passagiere verlassen das Deck im Gänsemarsch, bevor das Besatzungsmitglied den umgekehrten Weg freigibt. Hans präsentiert seine Fahrkarte und verschwindet in der Passagierkabine.

      Zwei Männer in Strassenkleidung blicken sich fragend auf der Betonmole an. Hat es wirklich einen Sinn, noch bis zum Ablegen unter sengender Sonne auszuharren? Sie entscheiden sich für eine Alternative und suchen die nächste Hafenbar auf. Mit Karlovacko-Pils befeuchten sie lieber ihre ausgetrockneten Kehlen. Als zwei Matrosen die Holzrampe hochziehen, springt ein Passagier noch in allerletzter Sekunde von Bord und rennt direkt zum Taxistand.

      - Molim zum Südeingang der Altstadt.

      Der Fahrer setzt das Taxameter in Betrieb und präzisiert das Fahrziel.

      - Ploce Tor.

      Hans Spruit sucht etwas Schatten unter Oleanderstauden. Er muss neben dem östlichen Stadttor ausharren, bis Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes ihre Umrundung der Altstadtmauern beenden und zu bereitstehenden Bussen zurückkehren. Endlich verlässt eine Menschentraube den nur gegen Eintritt begehbaren Teil der Altstadt und bewegt sich auf diese Fahrzeugkolonne zu. Ein Bus nach dem anderen öffnet die Tür und die davor postierte Aufflugsbegleiterin kontrolliert sämtliche Identifikationskarten. Unter den Touristen fällt Hans eine rothaarige Frau mit einem schreienden Kleinkind auf. Nachdem beide eingestiegen und abgefahren sind, drängelt er sich zum nächsten abfahrtbereiten Bus. Direkt vor der Kontrolleurin verliert er die Fassung und jammert lauthals darauf los, wegen der katastrophalen Organisation seine Familie aus den Augen verloren zu haben.

      - ... oderder ist bereits eine rothaarige Frau mit einem kleinen Buben eingestiegen?

      Die Angestellte des Kreuzfahrtschiffes kann den Mann umgehend beruhigen.

      - Die beiden befindet sich bereits auf dem Rückweg zur Kabine.

      Durch das Ablenkungsmanöver bemerkt sie nicht, dass der besorgten Vater über keine Identifikationskarte verfügt. Hans Spruit nimmt erleichter Platz im Bus.

      Fünfzehn Minuten später erfordert ein weiteres Hindernis nochmals etwas Improvisation. Obwohl sich Passagiere von Kreuzfahrtschiffen lediglich für wenige Stunden auf kroatischen Territorium aufhalten, wird sowohl bei der Ein- als auch Ausreise jeweils Stempel im Reisepass fällig. Damit ausgabenfreudige Kreuzfahrer nicht unnötige Zeit verlieren, öffnet die Hafenbehörde sechs Kontrollposten. Hans wählt den Schalter mit einem weißhaarigen Beamten aus. Die Einschätzung hinsichtlich dessen Arbeitsmoral erweist sich als richtig. Der Kontrolleur findet keinen Einreisestempel, aber warum soll er deshalb den Holländer schikanieren. Ein Kollege hat bei der Einreise nicht richtig

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