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      »Ist er einer der gewöhnlichen Stutzer aus dem Hauptquartier, die sich nur auf leichte Weise ein Kreuz verdienen wollen, so kann er es auch bei der Nachhut verdienen, will er aber bei mir bleiben, so ist mir's recht, denn einen tapferen Offizier kann ich immer brauchen«, dachte Bagration. Fürst Andree erbat sich Erlaubnis, die ganze Stellung zu besichtigen, um zu wissen, wohin er sich zu wenden habe, wenn er einen Auftrag erhalte. Der dejourierende Offizier, ein hübscher, sorgfältig gekleideter Mann mit einem Diamantringe am Zeigefinger, der ebenso schlecht als gern Französisch sprach, erbot sich, den Fürsten Andree zu führen.

      »Sehen Sie«, sagte der Adjutant, nach einem Marketenderzelt deutend, »da sitzen sie! Heute morgen habe ich alle hinausgejagt, und nun ist's wieder voll. Ich muß dahinreiten, Fürst, und sie einschüchtern.«

      »Gut, ich werde mir bei der Gelegenheit Käse und Brot kaufen«, sagte Fürst Andree, der noch nichts gegessen hatte.

      »Warum sagten Sie das nicht, Fürst? Ich hätte Ihnen meine Vorräte angeboten.« Sie stiegen ab und traten in das Zelt. Einige Offiziere mit geröteten Gesichtern saßen essend und trinkend an den Tischen.

      »Was ist das, meine Herren?« rief der Generalstabsoffizier in vorwurfsvollem Ton. »Der Fürst hat befohlen, niemand dürfe sich hier aufhalten. Und Sie, Herr Stabskapitän«, wandte er sich an einen kleinen, schmutzigen, schmächtigen Artillerieoffizier, der ohne Stiefel, in bloßen Strümpfen vor den Eintretenden dastand und gezwungen lächelte. »Schämen Sie sich nicht, Kapitän Tuschin? Als Artillerist sollten Sie ein gutes Beispiel geben, und nun stehen sie ohne Stiefel da? Wenn Alarm geschlagen wird, werden Sie eine hübsche Figur machen. Begeben Sie sich an Ihre Stellen, meine Herren! Alle, alle!« schloss er in befehlendem Tone.

      Fürst Andree lächelte unwillkürlich beim Anblick des Kapitäns Tuschin, der mit seinen großen, klugen, gutmütigen Augen fragend bald den Fürsten Andree, bald den Generalstabsoffizier ansah.

      »Die Soldaten sagen, Eile mit Weile«, sagte der Kapitän Tuschin mit verlegenem Lächeln, in der Absicht, aus einer unangenehmen Situation durch einen Scherz herauszukommen.

      Fürst Andree blickte noch einmal die zierliche Gestalt des Kapitäns an, welche etwas ganz Unkriegerisches, Komisches, aber doch sehr Einnehmendes hatte. Die beiden Offiziere setzten sich zu Pferde und ritten weiter. Jenseits eines Dorfes sahen sie eine neuerrichtete Schanze, an welcher noch immer einige Bataillone arbeiteten. Nachdem sie die Schanze besichtigt hatten, ritten sie weiter. Auf einer gegenüberliegenden Höhe, von welcher sie bereits die Franzosen sehen konnten, hielten sie an.

      »Dort steht unsere Batterie«, sagte der Generalstabsoffizier, indem er auf den höchsten Punkt deutete, »sie steht unter diesem Spaßvogel, den wir vorhin in Strümpfen gesehen haben. Von dort kann man alles übersehen. Kommen Sie, Fürst!«

      »Ich danke sehr, ich werde jetzt allein weiterreiten«, sagte Fürst Andree, der sich seines Begleiters zu entledigen wünschte. Dieser kehrte zurück, und Fürst Andree ritt allein weiter.

      Je näher Fürst Andree dem französischen Vorposten kam, desto zuversichtlicher wurde das Aussehen unserer Truppen. Die Soldaten schleppten Holz herbei, bauten Hütten und lachten und schwatzten heiter dabei.

      Fürst Andree ritt die äußerste Linie entlang. Unsere Kette war von der feindlichen auf der rechten und linken Flanke weit entfernt, in der Mitte aber, wo am Morgen die Parlamentäre erschienen waren, näherten sich die Ketten so sehr aneinander, daß die Leute sich sehen und miteinander schwatzen konnten. Die Soldaten, welche in der Kette standen, blickten nicht mehr nach den Franzosen, sondern machten unter sich ihre Bemerkungen über vorübergehende Neugierige und erwarteten gelangweilt die Ablösung. Fürst Andree hielt an, um die Franzosen zu betrachten.

      »Sieh einmal«, sagte ein Soldat zu seinem Nebenmann und deutete auf einen russischen Soldaten, welcher mit einem Offizier sich der Kette näherte und hitzig mit einem französischen Grenadier sprach.

      »Höre doch einmal«, sagte der eine, der für einen Meister im Französischen galt. Der Soldat, nach dem die Leute lachend deuteten, war Dolochow, welcher wegen seiner Streiche in Petersburg zum Gemeinen degradiert worden war. Fürst Andree erkannte ihn und horchte auf das Gespräch. Dolochow war mit seinem Hauptmann in die Kette gekommen, von der linken Flanke her, auf welcher sein Regiment stand.

      »Nun, was sagt er?« fragte der Hauptmann, welcher auf die einzeln ihm verständlichen Worte lauerte.

      Dolochow antwortete ihm nicht, er befand sich in hitzigem Streit mit dem französischen Grenadier. Sie sprachen von dem Feldzug. Der Franzose verwechselte die Österreicher mit den Russen und behauptete, die Russen hätten sich in Ulm ergeben. Dolochow bewies das Gegenteil und behauptete, die Russen hätten die Franzosen geschlagen. »Hier wurde befohlen, euch fortzujagen, und das wird auch geschehen«, sagte Dolochow.

      »Nehmen Sie sich nur in acht, daß man Sie nicht mit allen Ihren Kosaken einsteckt!« erwiderte der Franzose. Die französischen Zuhörer lachten.

      »Man wird euch tanzen lassen, wie euch Suwórow tanzen ließ«, sagte Dolochow, schüttete sein Herz in russischen Kraftworten aus, warf die Muskete auf die Schulter und ging.

      »Kommen Sie, Iwan Lukitsch!« sagte er zu dem Hauptmann.

      Die Soldaten trennten sich, aber die Gewehre blieben geladen, die Schießscharten in den Häusern und Schanzen sahen ebenso drohend aus wie zuvor, und die Geschütze blieben gegeneinander gerichtet.

      37

      Nachdem Fürst Andree längs der ganzen Linie hingeritten war, ging er zu jener Batterie hinauf, auf welcher nach den Worten des Generalstabsoffiziers das ganze Feld zu übersehen war. Beim äußersten der vier Geschütze stieg er vom Pferd. Vor den Kanonen ging eine Schildwache auf und ab, hinter den Geschützen standen die Protzwagen und weiterhin saßen die Artilleristen bei ihren Kochfeuern. Zur Linken, nicht weit vom letzten Geschütz, stand eine neue Hütte aus Flechtwerk, in welcher ein lebhaftes Gespräch unter den Offizieren stattfand. Wirklich, von der Batterie aus konnte man fast die ganze russische Stellung übersehen und einen ganzen Teil der feindlichen. Gerade der Batterie gegenüber erblickte er das Dorf Schöngraben, weiter nach links und rechts konnte man an drei Stellen inmitten des Rauches von den Lagerfeuern Massen von französischen Truppen unterscheiden, von welchen sich der größte Teil im Dorfe selbst und hinter dem Hügel zu befinden schien. Weiter links vom Dorfe erblickte man im Nebel etwas wie eine Batterie, was man aber mit unbewaffnetem Auge nicht mehr deutlich erkennen konnte. Unsere rechte Flanke stand auf einer ziemlich steilen Anhöhe, welche die französische Stellung beherrschte. Auf dieser Anhöhe stand unsere Infanterie und am Rande derselben wurden Dragoner sichtbar. Im Zentrum, wo sich auch die Batterie Tuschin befand, von welcher aus Fürst Andree die ganze Stellung besichtigt hatte, lag ein sehr abschüssiger Abhang, welcher uns von Schöngraben trennte. Zur Linken zogen sich unsere Truppen bis an den Wald, wo die Lagerfeuer der Infanterie rauchten.

      Die Linie der Franzosen war ausgedehnter als die unsrige, und es war klar ersichtlich, daß die Franzosen uns leicht von beiden Seiten umfassen konnten. Hinter unserer Stellung lag eine tiefe, steile Schlucht, durch welche der Rückzug für die Artillerie und Kavallerie schwierig war. Fürst Andree lehnte sich an eine Kanone, nahm die Brieftasche heraus und zeichnete den Plan unserer Stellung auf. Auf zwei Stellen machte er mit dem Bleistift Anmerkungen mit der Absicht, Bagration darüber Mitteilung zu machen. Er wollte vorschlagen, zuerst die ganze Artillerie im Zentrum zu vereinigen und dann die Kavallerie zurückzunehmen bis jenseits der Schlucht. Fürst Andree, welcher sich ständig beim Oberkommandierenden befunden hatte, den Bewegungen der Massen und den allgemeinen Anordnungen gefolgt war und beständig die geschichtliche Beschreibung der Schlachten studiert hatte, stellte sich auch unwillkürlich den Gang der bevorstehenden Schlacht vor. »Wenn der Feind auf der rechten Seite angreift«, sagte er sich selbst, »so müssen die Kiewschen Grenadiere und das Podolsche Jägerregiment ihre Stellungen so lange behaupten, bis die Reserve des Zentrums sie verstärkt, dann können die Dragoner den Feind in der Flanke fassen und zurückwerfen. Wird im Zentrum angegriffen, so stellen wir auf jener Anhöhe eine Zentralbatterie auf, und von ihrem Feuer gedeckt, ziehen wir die linke Flanke zusammen

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