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      »Ich bin nicht Ihr Väterchen, Herr Generalstabsoffizier, und Sie haben mir auch nicht gesagt, die Brücke müsse angezündet werden! Ich kenne den Dienst und bin gewöhnt, jeden Befehl pünktlich auszuführen. Sie haben gesagt, die Brücke werde angezündet, aber wer sie anzündet, kann ich nicht vom Heiligen Geist wissen.«

      »Nun, so ist's immer!« sagte Neswizki, die Achseln zuckend.

      »Sie sagten, Herr Generalstabsoffizier …«

      »Herr Oberst«, unterbrach ihn der Adjutant, »die Zeit ist kostbar! Sie müssen sich beeilen, sonst werden Sie vom Feind mit Kartätschen beschossen!«

      Der Oberst sah in finsterem Schweigen den Adjutanten und Neswizki an. »Ich werde die Brücke anzünden«, sagte er in feierlichem Tone, als wollte er sagen, trotz des ihm angetanen Unrechts werde er dennoch tun, was nötig sei. Er ritt zurück und befahl der zweiten Schwadron, bei welcher Rostow diente, auf die Brücke zurückzukehren.

      Rostows Hand zitterte leicht, als er sein Pferd einem Soldaten übergab.

      »Krankenträger!« schrie eine Stimme von hinten. Rostow dachte nicht daran, was das bedeutete. Er lief weiter und strebte, allen voranzukommen, aber gerade bei der Brücke geriet er in den zähen Schlamm, stolperte und fiel auf die Hände nieder. Die anderen überholten ihn.

      »Auf beiden Seiten, Rittmeister!« hörte er die Stimme des Obersten, welcher vorausgeritten war und nicht weit von der Brücke hielt.

      Rostow rieb seine mit Schmutz bedeckten Hände an der Reithose ab und wollte weiterlaufen, in der Meinung, es sei am besten, je weiter er laufe. Aber der Oberst rief ihm zu, ohne ihn zu erkennen: »Wer läuft dort auf der Mitte der Brücke? Zur rechten Seite, Junker, schnell!« Dann wandte er sich an Denissow, welcher, um mit seiner Tapferkeit zu prahlen, zu Pferde auf die Brücke ritt.

      »Wozu sich aussetzen, Rittmeister? Sie sollten absteigen!« sagte der Oberst.

      »Eh! Wen es treffen soll, den trifft es«, erwiderte Denissow, indem er sich auf dem Sattel umwandte.

      Inzwischen standen Neswizki und der Adjutant außer der Schussweite beisammen und beobachteten die kleine Anzahl Leute mit gelben Tschakos, dunkelgrünen, mit Schnüren besetzten Jacken und blauen Reithosen. Dann sahen sie nach dem jenseitigen Ufer, wo blaue Mäntel und Gruppen mit Pferden, welche leicht als Kanonen erkenntlich waren, sich rasch näherten.

      »Wer wird schneller sein? Werden die Unsrigen die Brücke noch anzünden können, oder werden sie von den Franzosen mit Kartätschen vertrieben werden?« Diese Frage stellte sich unwillkürlich jeder von ihnen.

      »O, den Husaren wird es gelingen«, sagte Neswizki, »sie sind nur noch einen Kartätschenschuss weit entfernt.«

      »Es war unnütz, so viele Leute zurückzuführen«, sagte der Adjutant.

      »Das ist richtig«, bestätigte Neswizki. »Hätte er zwei gewandte Burschen gesandt, wäre das ebensogut gewesen.«

      »Nun«, sagte der Adjutant, »jetzt gibt's Kartätschen!«

      Er zeigte auf ein französisches Geschütz, welches eben eiligst abprotzte. Auf der französischen Seite stieg eine Rauchwolke auf, dann eine zweite, eine dritte, fast zu gleicher Zeit.

      »Oho«, ächzte Neswizki wie unter brennendem Schmerz und ergriff die Hand des Adjutanten, »sehen Sie, einer ist gefallen! Gefallen! Gefallen!«

      Die französischen Geschütze wurden rasch wieder geladen; die Infanterie in blauen Mänteln bewegte sich im Lauf auf die Brücke zu. Wieder stiegen die Rauchwolken nacheinander auf, und die Kartätschen prasselten über die Brücke. Aber Neswizki konnte jetzt nicht sehen, was auf der Brücke vorging, ein dichter Rauch stieg von der Brücke auf. Den Husaren war es gelungen, sie in Brand zu stecken, und die französische Batterie schoß auf sie nicht mehr, um sie daran zu verhindern, sondern nur deshalb, weil die Kanonen aufgefahren waren und doch nach irgend etwas schießen mußten. Die Franzosen hatten drei Kartätschensalven abgegeben, bevor die Husaren zu ihren Pferden zurückkehrten. Zwei Salven waren schlecht gerichtet, aber die letzte traf mitten in einen Haufen Husaren, von denen drei fielen.

      Rostow blieb auf der Brücke stehen, ohne zu wissen, was er tun sollte. Es war nichts niederzusäbeln, wie er sich immer eine Schlacht vorgestellt hatte. Beim Anstecken der Brücke konnte er nichts helfen, weil er nicht, wie die anderen Soldaten, ein Strohbündel mitgenommen hatte. Er stand und blickte um sich, als es plötzlich auf der Brücke prasselte, als ob Erbsen ausgeschüttet würden, und einer der Husaren, der ihm am nächsten stand, stöhnend auf das Geländer fiel. Rostow lief mit anderen auf ihn zu; wieder schrie jemand »Träger!« Vier Mann ergriffen den Husaren und hoben ihn auf.

      »Oh, oh, oh, oh! Laßt mich los!« schrie der Verwundete, aber er wurde dennoch aufgehoben und auf die Tragbahre gelegt. Rostow wandte sich ab und blickte in die Ferne, nach der Donau, nach dem Himmel und der Sonne. Wie schön erschien der dunkelblaue Himmel, wie hell und siegreich schien die Sonne, wie freundlich glänzte das Wasser in der fernen Donau.

      »Ich wünschte nichts anderes«, dachte Rostow, »als daß ich dort wäre! In mir allein und in diesem Sonnenschein liegt so viel Glück, hier aber herrscht nur Stöhnen, Leiden und Schrecken!« Wieder wurde etwas gerufen und wieder liefen alle zurück. In diesem Augenblick verschwand die Sonne hinter den Wolken. Vor Rostow erschienen wieder Tragbahren. Die Furcht vor dem Tode und Verwundung, die Liebe zum Leben und das Entzücken an der Sonne, alles floß in einen krankhaft aufgeregten Eindruck zusammen.

      »Herr im Himmel, errette mich!« flüsterte Rostow.

      Die Husaren liefen zu den Pferden. Die Stimmen wurden laut und ruhiger. »Du, Brüderchen, hast du Pulver gerochen?« rief ihm Denissow zu.

      »Es ist alles aus! Ich bin ein Feigling!« dachte Rostow, und mit einem schweren Seufzer ergriff er die Zügel seines Pferdes und stieg auf.

      »Was war das? Kartätschen?« fragte er Denissow.

      »Ja, und es war gut gemeint!« rief Denissow. »Die Burschen haben tüchtig gearbeitet. Aber Arbeit ist unangenehm, eine Attacke ist etwas anderes, wo man alles in Stücke hackt, was vorkommt!«

      Denissow ritt zu einer kleinen Gruppe hinüber, welche sich um den Obersten gebildet hatte.

      »Aber ich glaube, niemand hat es bemerkt«, dachte Rostow. Und wirklich hatte niemand etwas bemerkt, weil jedem das Gefühl eines Junkers, wenn er zum erstenmal ins Feuer kommt, bekannt war.

      »Melden Sie dem Fürsten, daß ich die Brücke angezündet habe«, sagte der Oberst feierlich.

      »Aber wenn man nach dem Verlust fragt?«

      »Kleinigkeit«, erwiderte der Oberst. »Zwei Husaren verwundet und einer gefallen!« sagte er mit sichtlichem Vergnügen.

      31

      Die kleine russische Armee von fünfunddreißigtausend Mann unter dem Befehl Kutusows zog sich rasch auf Wien zurück und hielt sich nur auf, wo sie vom Feind eingeholt wurde, worauf sie sich in Nachhutgefechte nur so weit einließ, als nötig war, um den Rückzug zu sichern, ohne die Bagage zu verlieren. Solche Gefechte fanden bei Lembach, Amstetten und Melk statt, aber trotz aller auch vom Feind anerkannten Tapferkeit, mit der die Russen sich schlugen, hatten diese Gefechte nur noch schnelleres Zurückweichen zur Folge. Die österreichische Armee trennte sich jetzt von der russischen, es war nicht daran zu denken, Wien zu verteidigen. Anstatt des tiefdurchdachten Angriffsplans, welcher nach den Gesetzen der neuen Wissenschaft, der Strategie, vom Hofskriegsrat entworfen und Kutusow bei seiner Anwesenheit in Wien übergeben worden war, blieb jetzt Kutusow nichts übrig, als die Vereinigung mit den aus Russland nachkommenden Heeresteilen zu suchen.

      Am 28. Oktober ging Kutusow mit der Armee auf das linke Ufer der Donau über und machte zum erstenmal Halt, da er die Donau zwischen sich und den Franzosen hatte. Am 30. griff er die auf dem linken Ufer stehende Division Mortier an und vernichtete sie. In diesem Gefecht wurden zum erstenmal einige Trophäen – Fahnen, Geschütze und zwei feindliche Generale – erbeutet. Zum erstenmal

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